„Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän: vor uns liegt eine Schlechtwetterfront und wir erwarten einige Turbulenzen. Der Bordservice wurde soeben eingestellt. Bitte benutzen Sie nicht mehr die Waschräume und begeben Sie sich auf Ihre Plätze und bleiben angeschnallt – es wird etwas schütteln!“
Draußen ist es stockdunkel. Es wird still im Flieger. Die junge Frau neben mir hat sichtbar Flugangst, greift die Hand ihres Partners und schließt die Augen. Als die Maschine zu wackeln beginnt, atmet sie heftiger, dann weint sie still. Die Turbulenzen wollen auch nach über zwei Stunden kein Ende nehmen.
Der Kapitän meldet sich noch einmal aus dem Cockpit und bedauert, nicht höher steigen zu dürfen, da ihm wegen des anderen Flugverkehrs keine Erlaubnis hierfür erteilt wurde.
Ich bin auch kein Held, lenke mich aber mit Lesen ab. Das geht ganz gut, doch wenn die Maschine heftiger durchgeschüttelt wird, erfasst mein Verstand in diesen Momenten nicht den Sinn der gedruckten Zeilen und ich gebe zu, mich dann auch machtlos der Situation ausgeliefert zu fühlen, zu hoffen, dass es auch dieses Mal wieder gutgehen wird.
Es bleibt weiterhin still im Flieger. Kaum jemand spricht. Nur ein kleiner Säugling schreit sich sein Stimmchen ohne Pause heiser. Vermutlich der Druck auf seine kleinen Ohren. Auf den Deckenmonitoren flimmert irgendein amerikanischer Kinofilm. Tonlos für die Passagiere ohne Ohrstöpsel, die aber trotzdem hinschauen, vermutlich, um sich von ihrer Angst abzulenken. Endlich fliegt die Maschine wieder ruhiger. Der Landeanflug auf Düsseldorf wird angekündigt, der Sinkflug eingeleitet. Gespräche werden wieder aufgenommen. Die Erleichterung ist deutlich spürbar.
Landung. Sanft. Die Maschine bremst mit Schubumkehr ihr hohes Tempo rasch herunter.
Endlich wieder am Boden.
Durchatmen. Vereinzelt wird applaudiert und trotz der Durchsage, bis zum Stillstand der Maschine bitte noch angeschnallt zu bleiben, ist das Öffnungskonzert klickender Gurtverschlüsse zu vernehmen, obwohl wir immer noch rollen.
Der Mittelgang füllt sich, alles blickt nach vorn.
Meine Diagnose: spontane, virulente Fluchtdendenz, sichtbar vom Stalltrieb begleitet, wie man ihn eigentlich nur von Pferden kennt: „.. bloß raus aus dem Flieger – nach Hause…….!“
Schon wenige Minuten später im Flughafengebäude…
Der Run auf das Gepäckband beginnt..
Während noch vor wenigen Minuten die meisten der Mitfliegenden kurz davor standen, sich vor lauter Schiss um ihr Leben einen saftigen Klecks in die Buxe zu machen, kleinlaut und leise, vielleicht sogar demütig an ihren Gott gebetet haben, sind sie am Gepäckband nicht mehr wiederzuerkennen, denn plötzlich übernimmt das alte Neanderthaler Stammhirn das Kommando.
Jeder drängt und sucht sich eine günstig Stelle, von der aus er sofort erkennen kann, dass sein Koffer ankommt. Die Smartphones, schon im im Flieger direkt nach der Landung vom Flugmodus befreit, gezückt: „Ich bin gerade gelandet. Ja, nee – aber dat Band läuft noch nich!“
Das Band steht. Eigentlich logisch, denn der Flieger muss ja erst entladen werden.
„Mann, wat dauert dat wieder! Sind die am streiken?“
Nörgeln und meckern steigert sich, bis das Band dann endlich anläuft.
Auf dem schwarzen Gummi machen zunächst nur vereinzelte Gepäckstücke ihre Runde.
Es kommt nun Bewegung in den Pulk der Koffergierigen.
Und ich warte.
Auf den einen Satz, der immer kommt. Immer.
„Wetten, dat meiner wieder der Letzte is? Pass auf, dat isso! Wetten?“
Ich höre ihn und fühle mich wieder einmal bestätigt.
„Mooment, ich muss hier eben durch! Da kommt meiner!“, schiebt sich jemand mit Schmackes von hinten nach vorn.
Die Lücke hinter ihm schließt sich sofort.
Er wuchtet seinen Koffer vom Band und hat redlich Mühe, mit seiner Beute wieder durch die sofort nachgerückten Drängler zurückzukommen.
Gerade noch Schiss inner Buxe vorm Abstürzen, gezz wieder Ungeduld, Hauen und Stechen wegen der paar Minuten Lebenszeit, die es braucht, bis die Koffer aus dem Flieger aufs Band zu seinem Eigentümer kommen.
Wat soll man da sagen?
Dat sind für mich die wahren Turbulenzen…
Bis die Tage!
Ja, mit der Gelassenheit hapert es an beiden Enden… Die einen verstehe ich, den andern würde ich gerne ein Beinchen stellen, aber das hält dann noch mehr auf;)
Es müsste nur so aussehen, wie ein Unfall…,
das Beinchenstellen.
Unschuldige Grüße!
Toll beschrieben, die Turbulenzen in der Luft und am Boden.
Beides ist ein wenig zum Weinen, zum Fürchten und zum Lächeln, menschlich halt, allzu menschlich manchmal…
Lieben Gruss von einer Daheimgebliebenen.
Lieben Gruß von einem Zurückgekommenen…😁
Da hast Du recht. Aba sowatt vonn!
Zum Glück habe ich so einen Schüttelflug nur einmal erlebt. Mann und Tochter fuhren mit dem Auto zum Ziel, Mutter und 8jähriger Sohn flogen – für den Sohn war es die Premiere. Und als mein Herz schon fast in der Hose schlug, nahm mein Sohn meine Hand und meinte: „Du musst keine Angst haben, ich bin doch bei dir“ (oder so ähnlich) – Und wie man sieht, haben wir es überstanden.
Ja, so sind se.
Sehr fein beschriebene Impressionen, lieber Lo. Kompliment!
Könnte es nicht sein, dass man, mit einem saftigen Klecks in der Buxe erstmal den Koffer sichert, ehe man sich auf den Weg Richtung Toilette begibt, weil eh schon alles zu spät…? 😉